Der deutsche Begriff "Gutmensch"-wörtlich "guter Mensch"- ist kein Kompliment. Es beschreibt jemanden, der moralische Überlegenheit demonstriert, nicht um etwas zu verändern, sondern um als besser angesehen zu werden. Im Englischen bedeutet dies soviel wie Weltverbesserer oder TugendwächterJemand, dessen Aktivismus sich weniger um Taten als um Äußerlichkeiten dreht.
Heute gedeiht diese Figur in digitalen Ökosystemen, in denen Aufmerksamkeit das Kapital ist. Auf Plattformen, die darauf ausgelegt sind, Sichtbarkeit zu belohnen, wird die Moral selbst zu einer Markenidentität. Ursachen werden wie Lifestyle-Entscheidungen kuratiert. Empörung wird ästhetisiert. Empathie wird geplant.
Das ist nicht einfach nur Heuchelei. Es ist eine Logik der Anerkennung in großem Maßstab.
"Gutmenschen"-Aktivismus stellt keine Strukturen in Frage - er verstärkt sie. Er übersetzt das Leiden anderer in symbolische Gesten, Hashtags oder Markenkampagnen. Er baut nicht auf Klarheit oder Form, sondern auf emotionale Resonanz und algorithmische Kompatibilität.
In einer Kultur, die vom Beifall besessen ist, wird sogar die Gerechtigkeit zur Zufriedenheit.
Das ist kein Zynismus. Es ist Struktur.
1. Die Anerkennungswirtschaft
Influencer leben vom Engagement. Aufmerksamkeit ist eine Währung. Jeder Beitrag ist ein Kampf um Relevanz. In diesem System bedeutet Aktivismus nicht das Teilen von Verantwortung - es ist das Teilen von Identität.
- "Ich bin einer der Guten".
- "Ich stehe zu..."
- "Verwenden Sie meinen Code zur Unterstützung von..."
Was zählt, ist nicht das Handeln, sondern die Wahrnehmung der Aktion.
2. Ursachen als Inhalt
Das muss die Ursache sein:
- Fotogene (kann es in eine Rolle, ein T-Shirt, einen Hashtag verwandelt werden?)
- Gefühlsmäßig sicher (Stimmt sie mit den vorherrschenden Erzählungen überein?)
- Zeitlich abgestimmt (ist es diese Woche im Trend?)
- Publikumstauglich (Werden dadurch potenzielle Sponsoren oder Anhänger verprellt?)
Echter Aktivismus ist langsam, konfrontativ und oft unsichtbar. Influencer-Aktivismus ist schnell, verpackt und algorithmisch gepusht.
3. Leistung über Druck
Influencer riskieren selten ihre Plattform. Ihre Forderungen nach Gerechtigkeit dürfen ihren Zugang zur Monetarisierung nicht gefährden.
- Die Stille wird durch symbolische Posten ersetzt.
- Die Komplexität wird in Slogans gepresst.
- Handlungsaufrufe werden in Engagement-Schleifen umgelenkt: "Gefällt mir", "Teilen", "Weiterempfehlen".
Die Schleife gedeiht. Keine Struktur wird in Frage gestellt. Nur die Identität wird gestärkt.
4. Empathie als Anzeige
In der Influencer-Kultur wird Empathie zu einer Haltung. Ein Moment der Verwundbarkeit. Ein gut beleuchtetes Geständnis.
Aber wenn das Leiden anderer Teil einer persönlichen Erzählung wird - Wachstum, Erwachen, Markenbildung - dann ist Empathie zur Ware geworden.
Es ist kein geteilter Schmerz mehr. Es ist Anerkennungswährung.
5. Die Schleife sieht alles
Selbst das "Aufrufen" anderer Influencer ist oft eine weitere Ebene der Leistung.
Aktivismus wird zu einem Spektakel der Selbstreinigung, bei dem es nicht um Veränderung, sondern um Imagepflege geht.
Das ist kein Aktivismus. Das ist optisches Management.
Die Sicht des Eidoismus
Die wahre Form ist ruhig. Strukturell. Unsichtbar.
Anerkennung ist laut. Symbolisch. Süchtig machend.
Wenn Aktivismus zum Inhalt wird, gewinnt die Schleife.
Und die Ursache verschwindet in der Schriftrolle.
Eidoismus fragt nicht: "Bist du aktiv?"
Sie fragt: "Ist Ihre Aktion erforderlich, oder gesehen?"